Aus einem Ateliergespräch am 2. Mai 2016
mit Vivianne Guérin und Doan Manh Trung
I: NAXOS
Auf Naxos bin ich durch eine Ausschreibung an der Uni gekommen. Das war 2002. Da stand "Tut tut tut, die Eisenbahn, wer will mit nach Naxos fahren?" Dabei fährt man eigentlich gar nicht mit der Eisenbahn, sondern fliegt nach Athen und setzt dann mit der Fähre auf die Insel über. Den Witz an der Ausschreibung habe ich erst auf der Reise kapiert.
Die Zeit auf Naxos war total spannend. Wir haben dort in einem ehemaligen Kloster der Ursulinen gewohnt, wo früher die Nonnen unterrichtet wurden. Das Kloster wurde von einem Pastor betrieben, der sehr kunstaffin war und Künstler gefördert hat. Es gab wechselnde Maler und Fotografen als Gäste, und feste Bewohner, wie einen Marmorbildhauer, einen Künstler, der kinetische zeitgenössische Kunstwerke herstellte und einen Keramiker, der seine Tontöpfe mit Erde glasierte. Sehr inspirierend.
Es gab jede Menge verschiedene Räume und Hallen und Flure und einen davon konnte ich beziehen und habe „meinen Raum“ mit Folie und Papier ausgekleidet. In den alten Nonnenzimmern hat man eher gelesen und geschlafen. Damals hab ich Bücher über Nietzsche gelesen.
Insgesamt bin ich 14 Jahre lang mindestens einmal, manchmal auch zweimal nach Naxos gefahren. Ich konnte nicht anders. Meistens im Herbst und im Frühling. Am Herbst mag ich diese erdigen Farben und das Türkisblau des Meeres. Das ist der schönste Kontrast. Der Frühling ist spannend, weil alles fließt und blüht und sprießt. Das ist unfassbar toll.
Ich verbinde so viel mit diesem Ort. Ich habe soviel Zeit dort verbracht und sie genossen - die Wärme, die Sonne, die Kontakte zu den anderen Künstlern und vor allem auch das Ultramarinblau am Abend, wenn die Sonne untergegangen ist. Auf Naxos gibt’s auch viel zu entdecken. Ich bin immer mit dem Moped irgendwo langgefahren und habe die verschiedenen Erdschichten gesehen und dann dachte ich immer: "Ich muss anhalten!! Der Rot-Ton! Der Rot-Ton, den muss ich haben!" Ich komme da manchmal kaum vorwärts. Dann lasse ich alles andere und wühle in der Erde.
Nach der ersten Naxos-Reise war klar "Ich muss malen!"
II: Erdtöne
Auf Naxos bekomme ich auch meine Farben. Auf dieser einen Insel habe ich über 24 verschiedene Erdtöne gefunden. Grün ist eher selten, Violett auch oder Schwarz. Aber Rot- und Brauntöne gibt es in allen Nuancen. Wenn ich Ausstellungen mache, dann packe ich die Kästen hin, sodass die Leute die Erden auch anfassen könne. Manchmal finde ich Grautöne, Gelb oder Glimmerschiefer. Solche Entdeckungen sind großartig.
Das ist dann eine richtige Suche. Ich finde das immer lustig: Ich fahre mit dem Moped über die Insel und suche nach neuen Erdtönen. Eigentlich machen wir Ausflüge und die Anderen müssen oft auf mich warten. Oder ich setze mich ab und fahre hinterher. Denn wenn ich einen schönen oder seltenen Erdton sehe, dann halte ich an, packe einen Esslöffel und irgendein Gefäß aus - meistens ein Jogurt Becher vom Frühstück oder einen Beutel. Und dann sammel ich die Erdproben ein und verstaue sie im Moped. Am Ende von so einer Tour ist das ganze Moped schwer beladen. Am Ende einer Reise ist mein Koffer oft so schwer, dass ich mich frage, was ich hier eigentlich tue. Ich habe mich schon oft von persönlichen Dingen trennen müssen oder sie verschenkt, damit die Erden mit mir nach Deutschland fliegen können. Ich nutze da auch rigoros meine Freunde aus. „Hast du noch Platz im Koffer?“ Ich hinterfrage auch nie, ob ich das überhaupt darf. Ich muss, weil ich muss damit malen.
Erde macht irgendwie zufrieden. Wir sind erdverbundene Menschen. Wir laufen darauf - viel zu selten barfuß - und wir sehen sie jeden Tag. Vielleicht auch nicht mehr, es ist ja soviel zubetoniert. Aber die Ursehnsucht nach der Erde ist ja da. Wir haben ja am Anfang in Höhlen geschlafen, in Kalkhöhlen, in Erdhöhlen und haben die ersten Häuser mit Lehm gebaut, haben Handwerk betrieben, daher liegt dem Mensch das Anfassen auch so. Ich sitze auch manchmal müde im Atelier und tue stundenlang nichts. Ich fühle mich ja wohl zwischen meinen Bildern und ich genieße die warmen Erdfarben.
Dann ist es immer schön, wenn man Leute trifft, die das auch mögen und wertschätzen.
III: Wie ich ein Bild anfange
Gute Frage. Manchmal ist es grafisch. Also ziehe ich Linien. Manchmal eine Komposition von Flächen. Das ist bei mir auch ein Konflikt. Ich habe ja Kunst studiert und weiß "was gut aussieht", welche Proportionen man einhalten und welche Farben man kombinieren "darf". Aber wenn man zu viel über den Bildaufbau und die Spannung weiß, dann ist das auch nicht gut, weil man zu kontrolliert und analytisch ist. Aber ich versuche eben, dieses Wissen in meiner Arbeit zu vergessen und stattdessen "ich zu sein". Also lasse ich das Rollo unten, bin allein und dann lege ich einfach los.
Und ich bin eher so ein Farbenwerfer. Ich arbeite sehr wild. Das brauche ich auch. Oft arbeite ich auch parallel an Bildern und die entwickeln sich dann so nach und nach. Ich mache auch gern Experimente: Farbe verlaufen lassen, mit Farbe spritzen, Lappen werfen... manchmal haue ich die Erden so drauf und werfe dann den Binder hinterher. Also besonders in meinen Anfängen habe ich sehr experimentell gearbeitet. Aber auch heute noch. Oft male ich ohne Pinsel. Ich verbinde Erde und Acrylbinder mit den Händen direkt auf der Leinwand – die Finger gleiten durch die kühle Masse und hinterlassen Spuren. Eine Weile lang habe ich die Erde auch mit einem Stein durch ein Sieb gerieben. Wenn du die Erden so richtig zerreibst, dann werden sie sehr fein - pigmentartig. Du schindest dabei richtig deine Hände. Aber ich mag den Dreck unter den Fingernägeln, ich fühle dann "die Arbeit". Inzwischen bin ich schon lange nicht mehr dabei, alle Pigmente kleinzumahlen, sondern ich lasse die Erden auch gern grobkörnig. Einfach, weil ich das mag und die Textur toll ist. Viele fragen auch, ob sie anfassen dürfen und dann sag ich: „Ja! Mach halt vorsichtig!“
Ich habe auch ganz viel mit Bindemitteln experimentiert - ich habe ganz viel mit Öl, Maisstärke und Kleister herumprobiert .... schließlich bin ich auf dem Acrylbinder hängen geblieben. Das ist der industrielle Teil meiner Arbeit. Aber der Binder hält am besten. Manchmal glänzt es dann, aber die Erde ist so eisenhaltig, dass sie das ausgleicht und ihre matte Farbe behält. Es darf auch glänzen, aber ich finde es schöner, wenn es matt ist, weil es so eine stärkere Verbindung zur Erde hat. Ich mag die Erden einfach gerne, ich mag ihre Farben und den Kontrast mit schwarz-weiß. Der rote Faden in meiner Kunst ist die Erde. Erde gemischt mit Acrylweiß und Acrylbinder.
Manchmal überkommt es mich und ich male mit bunten Acrylfarben. Aus Zeitgründen oder der Sehnsucht nach bunt. Das geht auch. Aber grundlegend gebe ich mir schon die Aufgabe bei den Erden zu bleiben. Sie entsprechen meinem Gefühl mehr, als andere Malmittel. Es ist warm.
Am Anfang war es richtig wild und mittlerweile habe ich auch deutlich reduziertere Bilder gemalt - 2011 war das, da habe ich viel mit Weiß, Beige und Kohle gemalt, das ging Richtung einfarbig. Ich gebe mir da auch Aufgaben – Herausforderungen. Ich gehe ja auch ständig Kunst gucken. In jeder Stadt muss ich ins Museum. Die vielen Studien, das Sehen beeinflusst dein eigenes Empfinden. Die Aufgabe und das ungewisse Ergebnis – das finde ich spannend. Dazwischen bin ich einfach nur.
Ich arbeite dann.
IV: Titel, Mensch und ICH
Ich gebe meinen Bildern zwar Titel, aber die haben Namen, die nicht wirklich vorgeben, was es sein soll (z.B. Konturfindung, Duktus, Augenfällig, Gedankengänge...), sondern die Titel folgen einem Impuls, um (m)eine Emotion einzufangen. Oder es beschreibt meinen Zustand oder ergibt sich aus dem Malgrund. Dann heißt das Ding: ‚Sturm’ auf Anna’s Tischdecke. Selten auch mal ohne Titel. Aber ich liebe es mit Wörtern zu arbeiten. Im beendeten Werk ist es nicht so präsent, aber im Prozess schreibe ich viel und dann übermale ich es wieder, z.B. hier stand "fressen, lieben, sein" oder auch irgendwelche Zitate. Als ich auf Naxos war, habe ich ja immer gelesen und in dieser Stimmung, wenn ich Zeit habe, ganz viel zu lesen und zu denken, dann "passieren" halt ganz viele Wörter, die auch wieder in meinen Bildern oder Titeln auftauchen. Die Wörter fließen eben wieder aus mir heraus.
Das, was in meinen Bildern zum Vorschein kommt, das bin ich. In dem, wie ich gerade denke, fühle und in meinem Schaffen aufgehe. Das funktioniert auch in der Interaktion mit dem Betrachter: Geht er auch in der Kunst auf? Findet er da Widersprüche? Entdeckt er für sich etwas? Entdeckt er vielleicht etwas, was ich zwar geschaffen habe, aber mir dessen gar nicht bewusst war?
Das ist das Zwischenmenschliche, diese Interaktion zwischen Maler und Betrachter über das Medium. Während ich male, habe ich tausend Gedanken. Kannst du sie lesen? Hast du eine Ahnung davon? Oder berührt es nur deine eigenen Gedanken und die sind zufällig dieselben wie beim Künstler? Siehst du Geschichten darin, die ich vielleicht gedacht, gefühlt habe, als ich gemalt habe? Es gibt in der Kunst die Ebene des Betrachters, der ein ganz anderes Leben und vielleicht eine ganz andere Wahrnehmung hat.
Ich möchte in diesem Prozess auch nichts vorgeben.
V: Chronologie
In dieser Arbeit liegen meine Ursprünge, im Art Informel, in dem Experimentieren mit Materialien. Irgendwann kamen dann so kleine Kreise und diese drei Beine dazu. Im Laufe der Zeit haben die sich zu kleinen, fliegenden Tierchen entwickelt. So ein Insekten-Fledermaus-ähnliches Tierchen eben. Das sind die 2011er Bilder. Dann kamen die Löcher dazu, so eine Art Zuhause für die Insekten. Und aus diesen runden Formen der Löcher oder Fenster haben sich irgendwann fliegende Steine entwickelt. Das ist die Chronologie. Diese Elemente sind mittlerweile stilisiert.
In der letzten Phase, die ich gerade abgeschlossen habe, habe ich gemerkt, ich mag nicht mehr dieses Versprengte, dieses Universum an Partikeln, sondern ich möchte mehr Klarheit reinbringen. Als eigene Herausforderung. Aktuell läuft es darauf hinaus, dass die Tierchen nur noch Bildunterschrift sind und auf der Leinwand passieren nur drei Farben. Dann stellt sich mir die Frage: Wie sind die Farben in Kontakt? Für mich ist es ein Ziel, Flächen aneinander zu setzen und eine Reduktion zu erreichen, indem man größere Flächen aneinander reiht. Reduktion habe ich also gerade durch und auch weiter vor.
Jetzt habe ich einen Punkt erreicht, an dem ich denke „Ich war so oft auf Naxos, ich muss woanders hin.“ Bei mir passiert gerade ein Entwicklungsschritt. Vielleicht entdecke ich woanders neue Erde. Eigentlich ist es das Schöne, dass in meinem Leben, meiner Arbeit alles ineinanderfließt. Ich muss mir gar keine Sorgen machen, weil immer etwas Neues passiert, und ich verändere mich und entwickle mich. Der Grundstoff ist ja die Erde und das Neue passiert in mir, wie ich mich entwickle, was in mir vorgeht, was mir wichtig ist, was ich mir vornehme.
Auch wenn es manchmal länger dauert, irgendwas passiert immer.
VI: Werdegang
Während meiner Examensarbeit musste ich meine künstlerische Arbeit dokumentieren und dabei trotzdem frei sein. Ich habe dann echt interessante Studien gemacht, wo ich am Anfang ganz viele Fotos gemacht habe und dann plötzlich sieht man einen Riesensprung, weil meine Bilder sich einfach viel weiter entwickelt haben – ich diese Schritte jedoch nicht dokumentiert hatte. Es funktioniert nicht anders, weil ich irgendwann loslassen musste, damit ich bei meinen Bildern zu Etwas komme.
Ich habe eine Weile gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass ich lange und hart für ein Ergebnis arbeiten muss – ja auch geduldiger sein muss. Mittlerweile male ich selbstbewusst. Ich weiß, dass ich es kann. Das hat Jahre gedauert und mich befreit.
Durch die Examensarbeit habe ich überlegt, womit ich mich identifizieren kann - wo bin ich eigentlich zu Hause in der Kunst? Und dann habe ich Art Informel gefunden. Art Informel ist eine Kunstrichtung aus dem Paris der 1940er Jahre. Nachkriegszeit. Weg von allen Vorgaben an Malerei. Emil Schumacher, Fred Thieler, K.O. Götz, Wols... das sind Menschen, die mit den Materialien gearbeitet haben – Gedanken und Geist ausschalten und das Material entscheiden lassen. Was passiert mit mir und dem Material?
Ich habe auch ganz lange damit gehadert, dass ich keine gesellschaftskritische Kunst mache – da gibt’s ja so viel zu sagen - bis ich dann erkannt habe: "Ich mach sie ja! Nur halt auf meine Art und Weise." Mein Fokus liegt auf dem, was ich erlebe und für wichtig empfinde.
Danach stand ich wieder vor dieser schwierigen Entscheidung, ich hatte nun zwei Kinder und musste mir klar werden: Werde ich jetzt Lehrer oder mache ich Kunst? Ich dachte, was machst du jetzt? Das war ganz lange ein Konflikt in mir. Dann habe ich beschlossen „Ok, ich will, dass meine Kinder alle Möglichkeiten haben und eine gute Ausbildung bekommen, dass meine Kinder auch reisen können.“
Deswegen war mir klar, dass ich mich finanziell nicht stressen möchte. Ich mag diesen Stressfaktor nicht, den Druck des Ablieferns, des Verkaufens – deshalb will ich auch nicht nach Auftrag malen. Manchmal gibt es Leute, die sagen "Hey, kannst du mir nicht ein Bild malen?" Dann sag ich: "Klar, fahr in den Urlaub und bring mir Farben mit." Und dann bringen die Gläser mit Erde aus Frankreich mit und ich mach was daraus. Solche Aufträge mag ich gerne. Aber ich mag mich nicht auf ein Thema oder ein Motiv beschränken lassen. Das könnte ich gar nicht, meine Kunst muss immer fließen.
Zum Glück kann genauso leidenschaftlich über meine Arbeit als Lehrerin reden wie über meine künstlerische Leidenschaft. Ich habe zwei Berufungen gefunden.
VII: Findlinge
Ich habe auch schon mal ganz anders gearbeitet und habe Findlinge, also diese, von Bauern ungeliebten Feldsteine, in Brandenburg gesucht und die Steine dann mit Filz ummantelt. Diese Filzschichten, das macht auch richtig Arbeit. Du nimmst dafür Schurwolle und filzt Schicht um Schicht ein.
Das ist eine Arbeit, die ich mag, weil du die ganze Zeit die Wolle mit warmem Seifenwasser reibst und dann Schicht um Schicht aufträgst. Das verbindet sich dann, bis du einen richtig dicken Mantel hast. Das Spannende war, in der Ausstellung zu sehen, wie die Leute sich zuerst nicht trauen, die filzigen Findlinge anzufassen und dann doch so neugierig sind, dass sie es doch probieren müssen. Darum ging es mir auch, dass man das anfasst und schaut, was ist das überhaupt? Was ist darunter?
Ich mache keine gesellschaftskritische Kunst, sondern ich arbeite mit diesem humanistischen Ansatz "Beschäftigung mit sich selbst und einfach mal machen." Der Findling stand für das Urige im Menschen. Jeder hat ja Ecken und Kanten, hat seine Oberfläche aus vergangenen Erfahrungen, sein Selbst. Aber die zeigt der Mensch nicht so schnell, sondern da ist eine Filzschicht aus sozialen Verhaltensweisen drüber. Jeder hat eine Art Mantel und versteckt sich darunter. Ein Werk dieser Filzsteine habe ich auch "Begreifen" genannt und wollte damit bezwecken, dass die Leute die richtig anfassen. Ich mag die Doppeldeutigkeit des Wortes.
Das Spannende ist doch: In der Interaktion der Menschen miteinander geht diese Schutzschicht auf, man lässt sich blicken. Das ist die Idee.